Entdecke den Wald - die kleine Waldfibel
Das vorliegende Heft „Entdecke den Wald – die kleine Waldfibel“ ist 2021 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) herausgegeben worden und im BONIFATIUS-Verlag Paderborn erschienen. Es handelt sich um eine Publikation, die vom BMEL kostenlos digital und in Printfassung zur Verfügung gestellt wird. Sie richtet sich an Kinder, Eltern und alle Menschen (somit auch Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie pädagogische Kräfte), die mehr über die Tiere und Pflanzen des Waldes erfahren und dieses Wissen weitervermitteln möchten. Daneben werden Arbeiten, die im Wald verrichtet werden (müssen) und Produkte des Waldes vorgestellt. Herausgehoben werden sollte zudem, dass das Heft in einfacher Sprache verfasst ist. Diese richtet sich an Lernende mit einem Förderschwerpunkt im Bereich Sprache sowie an Personen, für welche das Lesen und Sprechen der deutschen Sprache eine besondere Herausforderung darstellt. Ergänzende Materialien, deren Zielgruppe Bildungseinrichtungen sind, können online auf der Seite des BMEL heruntergeladen werden. Land- und Waldwirtschaft sind eng miteinander verwandt, so sind alle Kapitel des Heftes für diese Rezension von Interesse. Das Besondere: Die Waldfibel gibt es auch als digitale App für Smartphones und Tablets. So können Interessierte damit bei einem interaktiven Waldspaziergang die einzelnen Baumarten bestimmen oder im Waldquiz ihr Wissen testen.
Lernziele und Kompetenzen
Mit der Bearbeitung des Heftes haben Schüler:innen die Möglichkeit, vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, die von den Lehrplänen der Bundesländer gefordert werden. Themen, wie sie im Heft bedient werden, sind Inhalte in den Curricula der Fächer Sachunterricht, Biologie, Geografie und Gesellschaftswissenschaften. So fordert beispielsweise der Lehrplan des Faches Sachunterricht für das Bundesland Nordrhein-Westfalen, dass die Lernenden die Bedeutung von Wasser, Wärme und Licht beschreiben sollen. Dies setzt das Heft auf der Doppelseite zu den Aufgaben des Waldes um. Darin werden die Funktionen des Waldes als Lieferant für frische Luft und sauberes Wasser verdeutlicht. Darüber hinaus wird das nachhaltige Waldmanagement angesprochen, mit dem die Bedeutung des Waldes als Lebensraum, Nahrungslieferant und Schutzraum für Tiere und Pflanzen näher thematisiert wird.
Ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt, der aus dem genannten Lehrplan hervorgeht, ist, dass Schüler:innen die Bedeutung und Nutzung von Ressourcen recherchieren, diskutieren und den sparsamen Umgang mit ihnen erproben sollen. Als Beispiel wird dabei explizit Papier genannt. Das Heft bietet dazu eine einzelne Seite an, in dem Papier als Werkstoff aus dem Wald vorgestellt wird.
Das vorliegende Heft ist durchgängig in einfacher Sprache verfasst. Dabei handelt es sich um eine sprachlich vereinfachte Version der Standard- oder Bildungssprache. Menschen mit speziellen Bedürfnissen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, soll auf diese Weise ein Zugang zu den Lerninhalten ermöglicht werden. Kennzeichnend für die einfache Sprache ist eine vereinfachte Wortstellung im Satz nach der Regel: Subjekt, Prädikat und Objekt. Ferner verzichtet das Heft weitestgehend und sofern möglich auf Fachbegriffe und Fremdwörter. Neue und unbekannte Wörter, die für den Gesamtzusammenhang von Bedeutung sind, werden hervorgehoben. Auf diese Weise soll das Lesen und Verstehen erleichtert werden.
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Heft mit geheftetem Einband hat das Format DIN A5. Es ist eingefasst in einen kartonierten Einschlag, der zudem über eine anders geartete Haptik verfügt. Auf dem Titelblatt finden sich Titel und Illustrationen, die Rückseite zeigt das Impressum. Die erste Seite adressiert und begrüßt explizit die Kinder, die sich mit dem Heft auseinandersetzen. Drei kurze Absätze führen sie in das Heft ein. Die folgende Seite richtet sich an erwachsene Leseri:nnen und Eltern, die ebenfalls einleitend über die Intention des Heftes informiert werden. Es schließt sich das Inhaltsverzeichnis an, welches alle 56 Seiten mit ihrem Titel benennt. Die Seiten sind alphabetisch geordnet und nehmen eine Auflistung der Inhalte vor, die sich in neun Bereiche unterteilen lassen. Dazu zählen: Laub- und Nadelbäume, Beeren, Pilze, Blumen, Tiere, Fachleute, Arbeit und Produkte des Waldes. Zum Einstieg in das Heft ist eine Doppelseite mit den Aufgaben des Waldes abgebildet, die ein Schaubild zeigt. Am Ende werden auf einer Doppelseite, die ebenfalls mit einem Schaubild illustriert ist, die Stockwerke des Waldes dargestellt und erläutert. Die übrigen Seiten zeigen die genannten Elemente in Form von kleinen Steckbriefen und realitätsnahen Illustrationen. Hinzu kommt eine kurze Erläuterung der typischen Charakteristika, zum Beispiel des Lebensraumes bei den Tieren, der bevorzugten Standorte bei den Pflanzen oder des Tätigkeitsfeldes bei den Fachleuten und Maschinen, die eingesetzt werden. Dabei gibt es immer zwei Textabschnitte, einen in Standardsprache und einen in einfacher Sprache. Außerdem ist stets ein/eine Förster:in abgebildet, der/die Besonderheiten der jeweiligen Art benennen, ganz frei nach dem Motto „Wusstest du schon…?“.
Reflexion
Die Analyse der Seiten zeigt, dass das Heft abwechslungsreich, einheitlich und übersichtlich gestaltet ist. Auf dieser Grundlage ist es für Lernende, die sich damit auseinandersetzen interessant, motivierend und altersadäquat, sodass davon auszugehen ist, dass sie sich mit Freude den Inhalten widmen. Neben diesen layoutbezogenen Kriterien überzeugt das Heft durch seine kindgerechte Bebilderung und Illustrierung sowie den Einsatz von ansprechenden Schaubildern.
Die Texte sind, wie in der Analyse bereits deutlich geworden ist, auch farblich in zwei unterschiedliche Blöcke gegliedert. Der erste Teil ist in Standardsprache verfasst. Dennoch sind die Texte darin kurz und in Abschnitte gegliedert. Zudem sind die Sätze durch einen parataktischen Satzbau gekennzeichnet. Diese Aspekte erleichtern jungen Lesenden das Verstehen der Zusammenhänge. Gleiches gilt für die kleinen Sprechblasen, die von einem/einer Förster:i ausgehen und die zusätzlich Wissenswertes zum jeweiligen Eintrag mitteilen. Der zweite Textblock ist in einfacher Sprache verfasst. Mehr als zuvor wird hier auf den simplen Satzbau mit der Reihung Subjekt-Prädikat-Objekt geachtet. Darüber hinaus sind die Wort-/Satzteile, die betont werden, grün unterlegt. Diese weitere Vereinfachung stellt insbesondere für Lernende mit dem Förderschwerpunkt Sprache eine Hilfestellung dar. Kritisiert werden muss allerdings, dass sich die grünen Hervorhebungen durch ihre dunkle Farbe nur schlecht von dem schwarz der übrigen Wortteile abheben. Wünschenswert wäre die Wahl einer anderen Farbe, sodass Leser:innen, die speziell beim Sehen gefördert werden müssen, auch hier eine Unterstützung erfahren. Inhaltlich kommt es durch die didaktische Reduktion teilweise zu Verzerrungen und Unsauberkeiten: bei einigen Arten werden Fachbegriffe genannt (z. B. Rotte beim Wildschwein), bei anderen Arten wie beispielsweise beim Reh nicht. Wünschenswert wäre hier ein einheitliches Vorgehen. Hinzu kommt, dass einige Tiere wie zum Beispiel der Hirsch keine klassischen Waldtiere sind. Sie bevorzugen halboffene Landschaften, wurden aber teilweise durch die Aktivität des Menschen in die Wälder zurückgedrängt. Dies könnte etwas näher ausgeführt werden. Zudem fällt auf, dass nur vereinzelt die Tätigkeiten im Wald betrachtet werden. So sollten auch unbedingt die Jäger:innen, die die Wildtierbestände hegen und pflegen, Erwähnung finden. Insbesondere auch der persönliche Lebensweltbezug zum Schutz von Wäldern findet kaum Beachtung. Im Vorwort wird die Perspektive eingenommen, dass sich Fachleute und Behörden um den Schutz kümmern und „wir gut auf den Wald aufpassen müssen und ihn sorgsam nutzen“. Dieser Aspekt wird im Folgenden leider etwas vernachlässigt. Grundlegende Hinweise zum Verhalten im Wald, etwa keinen Abfall zu hinterlassen, beim Spaziergang auf den Wegen zu bleiben oder Hunde anzuleinen, sind nicht zu finden. Zudem wären handlungsorientierte Anregungen über die Sprechblasen von Jäger:innen eine Aufwertung. So könnte es die Lesenden motivieren, den Wald als außerschulischen Lernort mit all seinen Eindrücken zu nutzen. Neben der Artenbestimmung, selbst zu erkunden wie die Dinge zusammenhängen, könnte aufgegriffen werden. Über entsprechende Fragen und Hinweise könnte eine affektive und aktionale Lernebene adressiert werden, die die Emotionen und das eigene Handeln in den Mittelpunkt stellt. Beispielsweise Waldmusik ertönen zu lassen, indem der/die Leser:in auf einem Grashalm pfeift, oder bewusst auf die natürliche Waldakustik lauscht, um zu hören, ob Tiere in der Nähe sind. Sie könnten einen Baum malen, Tierfährten suchen und sich mit dem Lebensraum handlungsorientiert auseinandersetzen. Gezielte Fragen und Aufgaben könnten sie und die ggfs. begleitenden Erwachsenen animieren, den „individuellen“ Wald zu entdecken.
Zu den Bildern lässt sich sagen, dass diese außerordentlich kindgerecht sind. Die Illustrationen holen die Lernenden in ihrer Lebenswelt ab und ermöglichen einen Rücktransfer in ebendiese. Auch die Forstleute mit ihrem Hund, die unten auf den Seiten abgebildet sind, sind motivierend und altersadäquat. Zu kritisieren ist allerdings auch hier das nur bedingt einheitliche Vorgehen bei der Vorstellung der Tiere des Waldes. So wird beispielsweise beim Rothirsch oder beim Reh die ganze Familie gezeigt, beim Wildschwein hingegen sind nur zwei Frischlinge mit der Bache abgebildet. Wünschenswert wäre hier im Sinne der Stringenz ein einheitliches Vorgehen. Teilweise wirken die Bilder etwas zu idyllisch, da beispielsweise bei der Hirsch- oder Rehfamilie, männliche Mitglieder oftmals Einzelgänger sind und sich nur während der Brunftzeit beim Rudel aufhalten.
Resümierend lässt sich sagen, dass das Heft eine exzellente Möglichkeit bietet, sich den Tieren, Pflanzen und Arbeiten rund um den Wald kognitiv, im Sinne eines Lexikons, zu nähern. Es unterstützt informelle Lehr-Lern-Wege im Rahmen der Familie, bietet eine Basis zum eigenständigen Lernen ohne Unterstützung Erwachsener sowie eine Arbeitsgrundlage für den Unterricht. Es überzeugt vor allem durch ein kindgerechtes Layout, altersadäquate Darstellungen sowie kurze, leichtverständliche Texte. Berücksichtigt werden muss allerdings, dass das Vorgehen im Heft nicht immer einheitlich ist. Wünschenswert wäre ein stärkerer Bezug zu verschiedenen Tätigkeiten im Wald sowie zum eigenen Verhalten im Wald. Es könnte durch die Ansprache aller Sinne und handlungsorientierte Anregungen, der Wald als Lernort mit einbezogen werden, um so die Aspekte einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu fördern. So könnte ein forschendes Lernen, indem vor allem Fragen gestellt werden, statt Antworten zu geben, unterstützt und das Gelernte auf das eigene Handeln bezogen werden. Insgesamt hält das Heft jedoch, was es verspricht: es bietet viele inner- und außerschulische Einsatzmöglichkeiten als Lexikon im Handtaschenformat und kann von Kindern auch ohne die Anleitung eines Erwachsenen bearbeitet werden.
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