Zwischen Bullerbü und Tierfabrik – Warum wir einen anderen Blick auf die Landwirtschaft brauchen
Das Buch „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik“ ist 2018 erstmalig vom Gütersloher Verlagshaus verlegt worden. Es bezeichnet sich selbst als Werk, dass für einen „dritten Weg zwischen Hardcore-Landwirtschaft und Bullerbü-Idylle“ wirbt und ein „Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag mit dem Land und der Landwirtschaft jenseits von konventionell und bio“ vorbringen möchte. Als solches eignet es sich gut für Lehrkräfte der gesellschafts- und naturwissenschaftlichen Fächer, die sich über den aktuellen Diskurs in der Land- und Agrarwirtschaft und darüber hinaus informieren und das gewonnene Wissen an ihre Schüler:innen weitergeben wollen. Das Buch gibt ferner einen Einblick in die hochkomplexen Zusammenhänge, die in verschiedene Bereiche von der Landwirtschaft im Allgemeinen über Subventionen bis hin zu Tieren und Pflanzen sowie Lösungsmöglichkeiten aufgegliedert werden.
Curriculare Verknüpfung
Die Curricula der Bundesländer zeigen deutlich, dass die Themen Nachhaltigkeit, konventionelle und ökologische Landwirtschaft sowie Globalisierung in der Landwirtschaft zentrale Schwerpunkte für die schulische Arbeit bilden (vgl. HERTEMA et al. 2019, S. 12). Fächer, in denen diese Aspekte schwerpunktmäßig behandelt werden, sind primär die Geographie, aber auch fächerübergreifend Biologie oder die Gesellschaftslehre (vgl. ebd.). Für die Lehrkräfte dieser Unterrichtsfächer ergeben sich aus dem Buch gute Anknüpfungspunkte, um den Schüler:innen Fähigkeiten und Fertigkeiten rund um das Thema Landwirtschaft zu vermitteln. Dies kann beispielsweise durch die Ausführungen des Autors zur Wahrnehmung des „Landes“ und der Landwirtschaft realisiert werden. Im Kern geht es zunächst um historische Perspektiven auf die Landwirtschaft und die Entwicklungen in der Branche bis heute. In der Klasse 5/6 erfolgt häufig eine Betrachtung dieser Aspekte, die sich dem Schwerpunkt „Landwirtschaft früher und heute“ zuordnen lassen. Ferner wird die Globalisierung der Märkte und eine zunehmende Loslösung der Gesellschaft von der Urproduktion angesprochen. Diese Inhalte lassen sich auf die Lehrplanthemen „Produktionsketten“ oder „Globalisierung“ beziehen, welche traditionell in der Klassenstufe 9/10 ihren Platz haben. Im Kapitel zur „Öffentlichkeit“ wird über die fehlenden Primärerfahrungen der Menschen berichtet, die sich sehr gut mit Erkundungen landwirtschaftlicher Betriebe vorbeugen lassen. Möglich wäre auch ein Einsatz von Textausschnitten im Deutsch- oder Politikunterricht, in dem sich die Lernenden gemeinsam über die Anregungen zur besseren Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft austauschen und diskutieren könnten.
Aufbau des Buches
Das Buch wurde in einem Taschenbuchformat produziert und verfügt über zwei Klappentexte, die die Leser:innen in die Thematik einstimmen. Die ersten Seiten zeigen den Titel und eine Widmung sowie ein Vorwort. Im Inhaltsverzeichnis sind die insgesamt elf Kapitel aufgelistet, wovon allerdings nur neun nummeriert sind. Es beginnt mit einer Einleitung, in der der Autor erläutert, „Warum er dieses Buch schreibt“. Darauf folgen neun thematisch geleitete Kapitel und Anmerkungen/Zitationen der Aussagen folgen. Am Ende schließen sich weitere Literaturtipps des Verlages zum Weiterlesen und das Impressum an.
Im Buch spricht der Autor zunächst über seine persönliche Motivation zum Schreiben des Buches und berichtet von seinen Wahrnehmungen und Erfahrungen im Kontakt mit Menschen aus der Branche. Dabei reißt er verschiedene Problemstellungen an, die er später in sechs thematische Stränge aufgliedert: Die Landwirtschaft und wir, das Land, die Subventionen, die Tiere, die Pflanzen und die Öffentlichkeit. Am Beispiel des ersten Kapitels „Die Landwirtschaft und wir“ soll der Aufbau der Kapitel im Folgenden exemplarisch nachvollzogen werden.
In den Kapiteln geht der Autor zumeist von der historischen Perspektive aus. In diesem Kapitel nimmt er eine Äußerung des französischen Philosophen und Hochschullehrers Serres aus dem Jahr 2013, der den Rückgang der Primärerfahrungen im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft in den westlichen Ländern als den tiefsten historischen Bruch seit dem Neolithikum bezeichnet. Mit kleinen Überschriften wird im Weiteren versucht, die Gedankengänge schlaglichtartig zusammenzufassen. Diese Abschnitte umfassen meist zwei Buchseiten. Zunächst geht es darin um die verzerrte Wahrnehmung und zunehmende Entfremdung der Gesellschaft von der Landwirtschaft, die auch mit einer Romantisierung des Landlebens einher geht. Vergleichend steht dann die vormalige Funktion des Landes als Raum, in dem Lebensmittel für die städtische Bevölkerung erzeugt werden, der heutigen Funktion der ländlichen Räume als Erholungs- und Rückzugsort gegenüber. Unterstrichen werden die Darstellungen mit Beispielen aus dem Alltag: Illustrierte Hefte wie „Landlust“ oder „Landküche“ aber auch Kinderbücher forcieren diese Perspektive. Die moderne Landwirtschaft mit optimierten Ställen oder smarten Technologien des Herdenmanagements stehen dazu aus der Sicht des Autors im direkten Widerspruch. Das Land wird zunehmend als Investitionsobjekt und Geldanlage wahrgenommen. Ferner sorgen die Optimierung der Lieferketten und des Konsums durch den Onlinehandel für eine weitere Entfremdung. Zu den Lösungen zählen seiner Meinung nach, eine Stärkung der Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Öffentlichkeit. Zentral ist am Ende des Kapitels die Skizzierung von Eckpunkten eines neuen Gesellschaftsvertrages, der mit steigenden Lebensmittelpreisen, mehr Tierwohl und Wertschätzung landwirtschaftlicher Produkte einhergeht.
Reflexion
Insgesamt besticht das Buch durch seine guten und umfangreichen Recherchen sowie seine vielfältigen Zugänge und Argumentationen. Die komplexen Formulierungen und die Wortwahl des Autors sind anspruchsvoll, seine Gedankengänge sehr sprunghaft. Beides erschwert den Lesefluss etwas, sodass eine unterrichtliche Nutzung weniger in der theoretischen Grundlegung zu empfehlen ist, sondern eher in Diskussions- und Austauschphasen der gymnasialen Oberstufe. So könnten Textauszüge kopiert und in die Lerngruppen hineingegeben werden und eine Grundlage für die Diskussion schaffen. Dabei könnten unterschiedliche Aspekte erörtert werden. Zum einen wäre es möglich, über die einzelnen Argumentationssträngen des Autors weiter zu recherchieren und sie mit weiteren Quellen zu belegen. Im Anschluss daran könnte kritisch darüber diskutiert werden. Auch die vorgeschlagenen Lösungsansätze am Ende des Buches könnten von den Lesenden mithilfe einschlägiger handlungsorientierter Lehr-Lern-Methoden wie beispielsweise der Szenariotechnik geprüft und kritisch reflektiert werden.
Gut gelungen ist der Einstieg in die Kapitel aus dem historischen Blickwinkel. Wenngleich es etwas antiquiert wirkt und an ein „Nachtrauern“ an lange vergangene Zeiten erinnert, wird die lesende Person, die landwirtschaftlich wenig vorgebildet ist, aus ihrem Alltag abgeholt. Hochkomplexe Sachverhalte wie beispielsweise die Herkunft und die Förderschwerpunkte der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden angemessen historisch erläutert, dennoch wird viel Wissen darüber wie beispielsweise über die grundlegenden Strukturen vorausgesetzt. Vor allem an dieser Stelle aber auch bei der Aufstellung der Flächengrößen die landwirtschaftlich genutzt werden (im Kapitel „Das Land“) oder bei der Darlegung wie viel Fleisch pro Zeit- und Futtereinheit für ein Tier benötigt wird (Kapitel „Die Tiere“) wären Abbildungen hilfreich. Sie unterstützen die Vorstellungskraft des Lesenden und veranschaulichen komplexe Informationen zusätzlich.
Weiterhin müssen die Ausführungen im Kapitel „Tiere“ positiv hervorgehoben werden. Das Ansprechen des hochgradig emotionalen Themas, das stark verschränkt mit der Tierwohl- und Tiergesundheitsdebatte ist, wird auch vonseiten des Autors sensibel angefasst. Ausgehend vom Missverhältnis „Streicheln versus Schlachten“ kategorisiert er die einzelnen Tierarten in verschiedene Gruppen um sie so einzeln zu beleuchten. Dabei verliert er die Aspekte Wirtschaftlichkeit, Globalisierung, Mechanisierung/Technisierung und die hohen Anforderungen der Gesellschaft an Lebensmittel nicht aus den Augen. Eindrucksvoll zusammengefasst und gut sowie sachlich argumentiert, hebt er am Ende des Kapitels Lösungsmöglichkeiten hervor, die auf eine höhere Wertschätzung der Lebensmittel und die Honorierung der Leistungen auf landwirtschaftlichen Betrieben zielen, hervor. Dabei nimmt er auch den Handel in die Verantwortung, die eine wichtige Brückenfunktion besitzt.
Abschließend bleibt zu sagen, dass sich das Buch sehr gut lesen lässt und als abendliche Lektüre für interessierte Lesende bereichernd sein kann. Sie liefert viele gut recherchierte und fachlich tiefgründige Informationen, die es Personen ermöglicht, sich intensiver mit diesen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Zudem bietet er konkrete Lösungsmöglichkeiten und Handlungsperspektiven an. Dies bietet Potenzial für Lehrkräfte, die sich informieren und in ihrem Unterricht Lerninhalte zum Thema nachhaltige Landwirtschaft und Perspektiven der Branche behandeln möchten. Wenngleich die Gedankengänge an einigen Stellen etwas sprunghaft sind, finden sich zahlreiche aktuelle Ansätze und Recherchemöglichkeiten. Die Verweise auf Dokumentarfilme und Literatur sowie die Belege, die für die Aussagen angebracht werden, sind anschaulich und liefern aussagekräftige Empfehlungen für die individuelle Vertiefung. Die Reflexion hat gezeigt, dass sich das Buch vor allem für eine diskursive Auseinandersetzung mit den entsprechenden Lerninhalten eignet. Voraussetzung ist jeweils eine fachliche Grundlegung in der Lerngruppe, damit eine Reflexion und diesbezügliche Diskussion in der Gruppe möglich ist.
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